(Predigttext: Joh 11,1-3.17-27)

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde!

„Wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben!“ so ruft Martha dem Herrn entgegen in unserem heutigen Evangelium von der Auferweckung des Lazarus.

„Wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben!“ auch ihre Schwester Maria sagt das zu Jesus.

Der Mensch spekuliert gern. Hätte. Wäre. Wenn.

Eine Möglichkeit. Spekulation. Flucht aus der Wirklichkeit. Hoffnung?

Dagegen das Ist. Das beschreibt die Wirklichkeit im hier und jetzt.
Die schmerzhafte Wirklichkeit braucht eine Erklärung, einen Sinn.

Besonders gern spekuliert der Mensch über Gott, so wie hier die Schwestern Martha und Maria im Evangelium Jesus im Konjunktiv ansprechen: wärest du ...
Nur er, der Herr, hätte Lazarus retten können. Aber er war ja nicht da.

So schwingt da auch ein Vorwurf mit.

Wo bist du Gott? Warum ließest du das geschehen?

Am 12. September diesen Jahres geschah ein Unglück in Mekka in Saudi Arabien.
In einem Unwetter stürzte ein Kran in eine der großen Wallfahrtsmoscheen dort. Viele Todesopfer.
Wenn Menschen in einem Gotteshaus sterben, durch Naturgewalt verursacht, fragen sich die Menschen, vor allem die Betroffenen, die Angehörigen der Opfer, ob das ein Gericht Gottes ist.
Hätten wir inniger beten müssen?
Hätten wir ein gottgefälligeres Leben führen müssen?
Hätten wir weniger Schuld auf uns geladen, wären wir dem Unglück entgangen?

Die Todesopfer kam zum Gebet in das Gotteshaus und es traf sie ein tödliches Unglück.
Warum?
Was soll man denn den Kindern sagen, deren Eltern fröhlich zur Wallfahrt aufbrachen und nun nicht zurück kommen?
Doch der Himmel schweigt.

Und was ist mit den Schuldigen?

Eine deutsche Firma hatte den Kran gebaut.
Am Samstagnachmittag ist das Unglück passiert, am Sonntag war schon ein Ingenieur der Firma in Mekka.
Und bereits am Mittwoch stand fest, dass es menschliches und nicht technisches Versagen war.
Ein Untersuchungsausschuss hatte Nichtbeachtung von Sicherheitsregeln festgestellt, und der saudische König selbst hat die Baufirma von allen weiteren staatlichen Bauvorhaben ausgeschlossen.

So weit die Klugen, die Großen und die Reichen.
Direkt Schuld an dem Unglück hat von denen keiner.
Was ist aber mit dem Menschen, der dafür verantwortlich ist, dass der Kran da stand, wo er stand und somit fiel, wo er fiel?
Es wird ein Vorarbeiter, vielleicht ein leitender Bautechniker der Firma gewesen sein, der wie an vielen Arbeitstagen vorher eine Entscheidung getroffen hat.
Diesmal mit fatalen Folgen.

Hätte. Wäre. Wenn.

Wären nicht so viele Menschen in der Moschee gewesen. Hätte es nicht so starken Wind gegeben. Hätte der Kran nur zwei drei Meter anders gestanden.

Die Spekulation hat keinen Zweck.
Das Unglück ist geschehen, die Opfer zu beklagen.
Realität.

Es ist ein islamisches Gotteshaus, das getroffen wurde. Und es ist ein besonders tragisches Unglück.
Da liegt die Frage des Warum nun mal so nahe.

Die Frage des Warum liegt im Moment jeden Tag so nahe.
Ich glaube, kaum jemand von uns versteht noch, was da jeden Tag durch die Nachrichten geht.
Und ich merke selbst, dass ich sehr aufpassen muss, nicht abzuschalten im wahrsten Sinne des Wortes. Wegzuschauen und nicht mehr hinzuhören.

Das Flüchlingsdrama dieser Tage ist so schwer zu verstehen und auch so schwer zu ertragen.

Sie, die Älteren erinnert das an früher. Das haben mir auch viele in den letzten Tagen gesagt. Wie kurz nach dem Krieg ist das. Als wir hier auf so beengtem Raum lebten. Die Flüchtlinge aus Schlesien, Ostpreußen, Besarabien. Oder wir waren eben selbst Flüchtlinge und darauf angewiesen, aufgenommen zu werden.

Da hat man jede Arbeit gemacht, die nur irgendwie angeboten wurde, und alles getan, um wieder heimisch zu werden.

Und da war die Trauer um das, was verloren war.
Verlorene Heimat.

Sie wissen, wie es den vielen Flüchtlingen heute geht.
Wir Jüngeren können uns da nur schwer hineinversetzen. Noch sind das relativ ferne und anonyme Nachrichtenbilder, bei denen ich aufpassen muss, mit dem Herzen dran zu bleiben.

Denn da sind eben auch die jungen Somalier in Bockenem, die ich kenne, bei denen ich weiß, dass sie bereit sind, jede Arbeit anzunehmen, die versuchen, sich im fremden Land zurecht zu finden, aber die auch eine andere Mentalität haben und auf viel Ablehnung stoßen.

Hier bin ich auch schnell beim hätte, wäre, wenn.

Wenn diese Menschen nicht zur Flucht gezwungen worden wären.

Wäre da nicht nur dieser letzte Ausweg.
Wären mehr Länder bereit Flüchtlinge aufzunehmen.

Und ich hänge das ganze noch mal höher: Würden wir Menschen anders miteinander umgehen. Wäre da mehr Liebe und weniger Angst in dieser Welt.
Würde es weniger um Macht gehen.

Nur leider: Wir müssen uns mit der Realität auseinandersetzen.

Jesus kommt zu spät, um Lazarus zu retten. Er war nicht da.
Am Ende seine Worte:
„Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“

Mehr Hoffnung hat unser christlicher Glaube nicht zu bieten.

Die letzte und einzige Rettung den Gräbern gegenüber. Göttliche Weisheit und Trost für die Trauernden. Gottes Vergebung für den, der etwas nicht mehr gut machen.
Gottes Trost und seine Wegweisung für menschliches Leben und Sterben.
Das brauchen wir.

Das ist keine Antwort auf das geschehene Unglück.
Das ist keine Antwort auf das Flüchtlingsdrama.
Das überwindet auch nicht die Spekulationen, das hätte, wäre, wenn.

Aber: Das ist Hoffnungszeichen und Wegweisung.
Damit kann ich leben.
Damit verzweifele ich nicht und resigniere ich nicht.
Damit verschließe ich nicht die Augen vor dem Leid in der Welt.

Mit der christlichen Hoffnung im Herzen gehe ich die mir möglichen kleinen Schritte und versuche etwas zu tun.
Das, was mir möglich ist.

Was wäre, wenn das jeder tun würde?

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.